AVV im November 2012: „Hausbesetzung in der Neustadt“
Am 12.10. wurde in der Neustadt ein Haus besetzt (Näheres auf unrusquat.blogsport.de). Dieses Ereignis soll Diskussions-Gegenstand der Autonomen Vollversammlung im November in Bremen werden.
Datum: Samstag, 10.11.12
Zeit: 20 Uhr
Ort: Kulturzentrum Paradox
Als Input-Texte werden die drei Pressemitteilungen der Besetzer*Innen vorgeschlagen (Quelle: unruhsquat.blogsport.de):
1. PRESSEMITTEILUNG (12.10.):
Es herrscht Krieg. Mal in subtiler Weise durch Umverteilung von unten nach oben, Ausdruck findend in Hartz IV, Leiharbeit und vielen anderen Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen. Dann wieder offen tödlich sich zeigend, in Schüssen auf dem Tahirplatz. Und auch die unzähligen Toten an der EU-Außengrenze erzählen ihre Geschichte von Kapitalismus, Rassismus und Unterdrückung.
Heute haben wir die ehemalige Unruh-Spedition am Neustädter Güterbahnhof besetzt. Hier könnte ein Autonomes Zentrum entstehen, als Kristallisationspunkt für widerständiges Leben und Handeln. Es geht uns aber nicht in erster Linie darum, einen Freiraum zu erkämpfen, in dem wir ungestört die Wände bemalen und laut Musik hören/machen und uns treffen können. Echte Freiräume kann es in einer unfreien Gesellschaft nicht geben. Wir richten uns gegen das herrschende System, das uns in solche Nischen zwingen will. Deshalb kann am Ende unseres Kampfes nur die befreite Gesellschaft stehen: Gleichberechtigte unter Gleichberechtigten, die selbstbestimmt ihre Bedürfnisse miteinander verhandeln.
Kampf um (Wohn-)Raum und öffentliche Plätze ist ein Kampf gegen die kapitalistische Verwertungs- und Eigentumslogik, die es erlaubt, Menschen nach ihrer Verwertbarkeit einzuteilen und gegebenenfalls zu verdrängen. Die es erlaubt, Profit zu schlagen aus dem Grundbedürfnis, ein Dach über dem Kopf zu haben. Auch in Bremen zeigt sich immer deutlicher eine Entwicklung der Bewohner*innenzusammensetzung. Ärmere Menschen werden aus innenstadtnahen Quartieren in die Randbezirke verdrängt, während die „Szene und In-Viertel“ aufgewertet werden für eine konsumfreudige und konsumfähige Schicht. Leuchtturmprojekte, wie die Überseestadt, das Hulsberquartier oder die Bebauung des Bahnhofsvorplatzes verschlingen Millionen, während der soziale Wohnungsbau ins Abseits gerät und diesen Namen kaum verdient. Wir stellen uns gegen die konsumorientierte Nutzung des öffentlichen Raumes und gegen eine Stadtentwicklung, die das Grundbedürfnis Wohnen den Profitinteressen einiger weniger unterwirft.
Die Besetzung steht für unseren Widerstand gegen die bestehenden Verhältnisse, die immer mehr Menschen die Lebensgrundlage entziehen. Noch profitiert Deutschland von der Krise, hat diese sogar aktiv verschärft und muss sich Krisengewinnerin nennen. Doch in dieser Krise wird es keine Gewinner*innen geben. Es kann in diesem System nur noch darum gehen, den Kopf möglichst lange über Wasser zu halten, während man auf den Rücken derjenigen steht, die bereits niedergedrückt wurden. Wir solidarisieren uns mit allen Unterdrückten und Ausgebeuteten weltweit – und mit jenen, die gegen die herschende Ordnung für eine befreite Gesellschaft und ein selbstbestimmtes Leben kämpfen. Für eine Welt, in der „Freiräume“ unnötig sind!
Was aus diesem Ort entsteht, liegt nun in den Händen derer, die sich zukünftig aktiv einbringen wollen.
Autonome Gruppen
2. PRESSEMITTEILUNG (16.10.):
Bei der Besetzung der Unruh Spedition und dem umliegenden Areal am Freitag den 12.10.12 ging es von Anfang an nicht in erster Linie um das Schaffen eines konkreten, nutzbaren Raumes für widerständige Strukturen. Es ging darum, einen politischen Konflikt um die Verteilung von Eigentum und den damit verbundenen Ungleichheiten öffentlich sichtbar zu machen.
Wenn Luxuswohnungen in der Überseestadt gebaut werden, Mietpreise steigen, jede freie Fläche in der Stadt möglichst profitabel verwertet wird und dem gegenüber ein akuter Wohnungsmangel, gerade an bezahlbarem Wohnraum, steht, gibt es keine Alternative zu der unmittelbaren Aneignung von Räumen, Häusern und Plätzen.
Es geht nicht nur darum, Freiräume zu schaffen, in denen es möglich ist sich abseits der gesellschaftlichen Spielregeln vor der Realität zu verstecken das Besetzen von Häusern ist ein Akt der Selbstermächtigung. Es ist uns für ca. fünf Stunden gelungen, das gesamte Areal der Kontrolle der Staatsmacht zu entziehen. Erst Wasserwerfer, Räumpanzer und SEK Beamte konnten die Aktion beenden. Unsere Entscheidung, Militanz als Mittel gegen eine bevorstehende Räumung einzusetzen, hatte einen nicht unerheblichen Anteil an diesem Erfolg. Die letzte Hausbesetzung in Bremen liegt zehn Jahre zurück, wir konnten die Reaktion der Bullen dementsprechend nicht einschätzen. Dennoch sind wir davon ausgegangen, dass wir geräumt werden. Die Duldung von unkontrollierbaren Orten passt weder in das Konzept der etablierten Parteien, noch in die herrschende Ordnung an sich.
Die militante Auseinandersetzung ist somit als Ausdruck unserer Unversöhnlichkeit mit den politischen Verhältnissen zu verstehen.
Wir möchten an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die Darstellung der Polizeipresse, dass Züge von anliegenden Dächern mit Steinen beworfen wurden, falsch ist. Während der Aktion wurden zu keinem Zeitpunkt Unbeteiligte gefährdet. Die Steine, die auf Bahngleise geflogen sind, richteten sich gegen dort positionierte Bullen. Der Zugverkehr war zu diesem Zeitpunkt bereits gesperrt. Außerdem müssen wir auch der Darstellung der Medien widersprechen, dass 100 Leute randalierend durch Bremen gezogen seien. Die Auseinandersetzungen beschränkten sich räumlich auf das Gelände zwischen der Hochstraße und den Bahngleisen. Nachdem die Zugänge zu dem Gelände durch die Bullen gesperrt wurden, versuchten ca. 100 Personen sich in kleinen und größeren Gruppen Zugang zu verschaffen um die Besetzer_Innen zu unterstützen.
Das repressive Vorgehen der Bullen führte zu insgesamt 51 Ingewahrsamnahmen. Verhaftungen gab es nach unserem Kenntnisstand nicht. Alle festgesetzten Personen sind spätestens am Samstag Morgen freigelassen worden. Neben den insgesamt 36 Personen auf dem Gelände um die Unruh Spedition, sind weitere Personen bei dem Versuch zum oder vom Gelände zu kommen, sowie in der näheren Umgebung der Besetzung, in Gewahrsam genommen worden. Die Vorwürfe gehen von Landfriedensbruch, Widerstand gegen die Vollstreckungsbeamten bis Gefangenenbefreiung. In der Nähe der Aral Tankstelle sind zwei Personen fast von Bullen in Zivil angefahren worden. Die Betroffenen wurden daraufhin in Gewahrsam genommen und ebenfalls mehrere Stunden festgehalten. Nach Augenzeug_innenberichten von Passant_Innen wurden ihnen dabei Tüten über den Kopf gezogen. Desweiteren wurde zahlreiche Platzverweise ausgesprochen, unter anderem vor der Polizeikaserne in der Vahr.Autonome Gruppen
3. PRESSEMITTEILUNG (21.10.):
Die Berichterstattung der Presse zu der Hausbesetzung am vergangenen Wochenende inszeniert einen Bürgerkrieg. Die Bild schreibt von Polizist_innen in Todesangst, der stellvertretende Polizeipräsident Dirk Fasse redet von „Bombenwerfern“ und auf der Innendeputationssitzung wird ein Hinterhalt für den ersten eintreffenden Streifenwagen konstruiert.
Wir möchten an dieser Stelle zu einigen Gerüchten und Falschmeldungen Stellung nehmen.
Während der Besetzung der Unruh-Spedition ist die Straße vor dem Haus mit Barrikaden versperrt worden; der erste eintreffende Streifenwagen hielt vor einer dieser Barrikaden. Als die Bullen der Aufforderung, sich zurückzuziehen, nicht nachkamen, sind zwei Farbbeutel vor das Auto geflogen.
Erst als der Streifenwagen vor einem weiteren Tor zu dem Gelände stehen blieb und klar wurde, dass weitere Einsatzkräfte hinzugezogen wurden, sind Steine auf den Streifenwagen geworfen worden. Diese Reaktion auf die Bullen erfolgte in dem Moment, als klar war, dass die Bullen eine Besetzung nicht tolerieren würden. Es war der Versuch etwas mehr Zeit zu gewinnen.Auf einem Foto des -laut der Polizeipresse völlig zerstörten- Streifenwagens ist zu sehen, dass eine einzige kaputte Scheibe für die Bullen schon einen Totalschaden darstellt.
Dass die Bullen versuchen diese kaputte Scheibe mit dem Hinterhalt auf einen Streifenwagen in Gröpelingen gleichzusetzen, ist nichts als der Versuch politisch Stimmung zu machen. Der stellvertretende Polizeipräsident Dirk Fasse hat es mit der Aussage, auf dem Dach seien Bombenwerfer stationiert gewesen, sogar geschafft die NPD zu überbieten und die Springer Presse ist sich natürlich nicht zu schade von Polizist_innen in Todesangst zu schreiben. Wir können es uns bildlich vorstellen, wie 200 Bullen und SEKler_innen mit Wasserwerfern, Räumpanzern, Uniformen, Knüppeln, Helmen und Schilden um ihr Leben fürchten, weil zwischen 50 bis 100 Leute sich das Gelände angeeignet hatten und versuchten sie auf Abstand zu halten. Dass die Bullen ihr Eingreifen im Nachhinein damit erklären, dass sie beworfen wurden, ist lächerlich.
Die wären eh gekommen.Ähnlich verhält es sich mit dem Bahnverkehr, der zeitweise ausgesetzt wurde. Die Bullen meinen, es seien Steine und Böller auf vorbeifahrende Züge geflogen. Das stimmt immer noch nicht. Der Zugverkehr wurde eingestellt, weil Bullen auf dem Bahndamm positioniert wurden, um das Gelände kontrollieren zu können. Als dann Steine auf eben diese Bullen flogen, war der Zugverkehr bereits eingestellt worden. Unbeteiligte wurden nicht gefährdet oder in die Aktion hineingezogen.
Es ist schade, dass die Bullen mit solchen Übertreibungen die Presse bestimmen, während wenig Raum für die Inhalte unserer Pressemitteilungen bleibt. Da Steinwürfe allein anscheinend nicht spektakulär genug sind, werden Feuertonnen zu brennenden Barrikaden und hundert Leute sind auf einmal randalierend durch die Stadt gezogen.So wird von den inhaltlichen Hintergründen abgelenkt und der Fokus in der Berichterstattung verschoben. Die Auseinandersetzung mit den Bullen war, anders als in den Medien dargestellt, kein Selbstzweck. Bei der Aktion ging es darum sich das Gelände auf diese Weise anzueignen, eben um uns nicht durch Verhandlungen wiederum der staatlichen Kontrolle unterwerfen zu müssen. In einen Dialog zu treten und Projekte zu legalisieren bedeutet, die bestehenden Machtverhältnisse anzuerkennen, mit denen wir eigentlich brechen wollen. Dagegen sind unangemeldete Demonstrationen, Hausbesetzungen, wilde Streiks, Sabotage usw. Möglichkeiten, sich nicht im kapitalistischen Normalzustand von Ungleichheit, Ausbeutung und Unterdrückung verwerten zu lassen. In diesem Sinne: Stadt aneignen, staatliche Kontrolle unmöglich machen, Autonomie leben!
Es wird sobald wie möglich eine Auswertung der Ereignisse geben.
Mit freundlichen Grüßen und bis bald,
eure autonomen gruppen
2 Antworten auf „AVV im November 2012: „Hausbesetzung in der Neustadt““